Grundlagentexte Beldeko Summary, Thema Mundartdebatte in der Schweiz Grundlagen für: HG_2013_T2, UG_2013_T2, UG_2014_T2 Text 1: Dialekt in der (Deutsch)Schweiz – Zwischen lokaler Identität und nationaler Kohäsion Schweizerdeutsch ist eine Sammelbezeichnung für die in der Deutschschweiz gesprochenen alemannischen Dialekte und wird als Umgangssprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens angewandt. Wie viele (Deutschschweizer) Dialekte es gibt, weiss niemand, kann niemand wissen. Die Frage ist müssig, weil sie eine einheitliche Definition nötig machen würde, wie viel denn an Unterschieden vorhanden sein muss, damit wir nicht von einem, sondern von zwei Dialekten sprechen. Die eigentliche Amtssprache Hochdeutsch dient als Schriftsprache oder wird in gewissen Orten bzw. Situationen auch mündlich benutzt oder vorgeschrieben (z.B. politische Debatten auf nationaler Ebene, bestimmte Radiound Fernsehsendungen, im Klassenzimmer ab der Primarschule seit 2004). Zwischen den Dialekten eines Raums und seiner Standardsprache können unterschiedliche Arten der «Arbeitsteilung» bestehen. In der deutschen Schweiz sind die Varietäten funktional verteilt: Dialekt und Standard bewältigen je unterschiedliche Situationen; ein derartiges situationales Arrangement nennt man Diglossie. In einer diglossischen Gesellschaft gehört dem Dialekt die Bewältigung des gesprochenen Alltags. Die Funktionen der Dialekte entsprechen ihrer Gruppen- und Raumbindung: Sie sind Nähe-Sprachen, sie bewältigen alle Situationen der räumlichen, zeitlichen, emotionalen, sozialen... Nähe. Seit einiger Zeit wird viel über die «Mundartwelle» in der Deutschschweiz debattiert. Dabei wird unter anderem die Allgegenwärtigkeit und Beliebtheit des Dialekts unterstrichen oder aber auf Besorgnis erregende Auswirkungen dieser Entwicklung aufmerksam gemacht. Hier einige stichwortartig festgehaltene Fakten und Schlagworte zum Thema: Der Gebrauch von Schweizerdeutsch in der Schule ist verantwortlich für schlechte Hochdeutschkompetenzen, was immer mehr Kantone dazu bewegt, den Unterricht auf Hochdeutsch systematisch zu pflegen. Mundart ist bei Jugendlichen auch als geschriebene Sprache immer beliebter, wie deren Anwendung für SMS und E-Mails belegt. Mundart wird in elektronischen Medien immer wieder bevorzugt. Diese Entwicklung wird oft mit dem Bedürfnis nach einer stärkeren lokalen Identität in der globalisierten Welt begründet. Einerseits kann sie als Bereicherung für die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Schweiz betrachtet werden, andrerseits birgt sie offensichtliche Gefahren, wenn sie sich auf Kosten der Hochdeutschkompetenz entfaltet: Nach innen treten Probleme der Kommunikation mit den anderen Sprachgemeinschaften auf, die zur Schwächung des nationalen Zusammenhalts führen können; nach aussen wird der Zugang zum deutschen Sprachraum auf der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Ebene erschwert. Immerhin scheint ein Konsens darüber zu bestehen, dass ein lebendiger Gebrauch der Deutschschweizer Dialekte eine Bereicherung für die Schweiz darstellt, dass aber gleichzeitig die Anwendung des Hochdeutschen wieder zu der Selbstverständlichkeit finden muss, die ihm als Landessprache zukommt. Die historisch gewachsene Sprachsituation der deutschen Schweiz gehört zum Interessantesten und Anregendsten, was dieser alte Kontinent soziolinguistisch zu bieten hat. (412 Wörter) Quelle: „Dialekt in der Deutschschweiz“. Forum Helveticum [online] (abgerufen am 9.1.2013) (neu zusammengestellte Auszüge) Text 2: "Krieg" Dialekt gegen Hochdeutsch geht weiter Seit einer Gesetzesinitiative 2008 erfolgten ein Drittel des Kindergartenunterrichts in der Deutschschweiz in Dialekt, ein Drittel in Hochdeutsch und ein Drittel nach Entscheid der Lehrperson, je nach Situation. Die Befürworter der Zürcher Initiative "Ja zum Dialekt im Kindergarten" äußerten den Verdacht, mit diesem Gesetz solle der Dialekt gänzlich aus dem Kindergarten verbannt werden. Darum organisierten sie im Mai 2011 eine Volksabstimmung. Diese verdrängte die Hochsprache aus dem Kindergarten und stellte damit wieder die Situation vor dem Jahr 2008 her. Kinder aus dem deutschen Teil der Schweiz brauchen beide Sprachen, das ist unumstritten. Es geht hier um die Frage, mit welchem Alter Deutschschweizer Kinder beginnen sollen, Hochdeutsch zu lernen. Der Psychologieprofessor Allan Guggenbühl ist ein Befürworter der Zürcher Initiative. "Wenn man die Gesprächskompetenz erhöhen will, muss man mit der ersten gesprochenen Sprache beginnen und nicht mit einer Sprache, die fremd ist", sagt er. "Das Ziel ist Sprachkompetenz in der Mundart und in Hochdeutsch. Die Frage ist, wie man soweit kommt. Es geht besser und schneller, wenn man eine Grundsprache lernt und sobald man diese kann, weitergeht". Hochdeutsch komme überall vor, auch im Fernsehen, so dass auch sehr kleine Kinder damit in Berührung kämen, erklärt er. Aber für das aktive Erlangen von Sprachkompetenz in anderen Sprachen sei es das Beste zu warten, bis die Kinder im schulfähigen Alter von sieben Jahren seien. Iwar Werlen, Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Bern, warnt, dass viele Deutschschweizer im Kontakt mit Anderssprachigen, wenn Mundart keine Option sei, Englisch oder Französisch statt Hochdeutsch bevorzugten. "Das hat auch damit zu tun, dass in den Schulen Hochdeutsch als Schriftsprache verwendet wird. Die Menschen haben nicht wirklich gelernt, Hochdeutsch in alltäglichen Situationen mündlich anzuwenden", sagt er. Das stellt auch Barblan, Direktor des Forum Helveticum fest. "Viele Menschen aus den nicht-deutschsprachigen Landesteilen sagten, die Situation hätte sich in den letzten gut 20 Jahren stark verändert. Damals hätte ein Deutschschweizer automatisch auf Hochdeutsch gewechselt, wenn sein Gesprächspartner Mundart nicht verstanden hätte. Jetzt sprechen sie frischfröhlich in der Mundart weiter und bemerken gar nicht, dass die anderen sie nicht verstehen". Ein anderer Aspekt betrifft die Integration ausländischer Mitbürger in der Schweiz. Schweizerdeutsch spiele eine zentrale Rolle bei der Integration von Ausländern, so Guggenbühl. "In der Schweiz sind Sie nur akzeptiert, wenn Sie Schweizerdeutsch sprechen. Sprechen Sie Hochdeutsch, sind Sie nicht akzeptiert." Dies mag zum Teil für den Deutschschweizer Raum zutreffen. Aber es gibt noch drei weitere Landessprachen. Das Forum Helveticum hat vor ein paar Jahren eine Studie zu den Themen Schweizerdeutsch, lokale Identität und nationaler Zusammenhalt veröffentlicht. Die Schlussfolgerung war, dass die lokale Identität sehr wichtig sei. Es stimme, dass der Dialekt gefördert werden müsse. "Aber der nationale Zusammenhalt ist auch sehr wichtig", so Direktor Paolo Barblan. (452 Wörter) Quelle: Swissinfo. Informationsportal zur Schweiz. Artikel vom 18. Mai 2011 [online] (abgerufen am 9.1.2013) (stark gekürzt und verändert)