Grundlagentexte Beldeko Summary, Thema Viadrinisch Grundlagen für: HG_2013_T3 Text 1: Viadrinisch – eine Sprache mit eigener Grammatik? „Viadrinisch“ nennen die Studierenden der Europa-Universität Viadrina ihre deutsch-polnischen Sprachmischungen. Sie bauen nicht nur deutsche Begriffe wie „Sprechstunde“ in polnische Sätze ein, sondern ergänzen sie auch durch polnische Endungen. Dagna Zinkhahn Rhobodes aus Polen hatte schon seit der sechsten Klasse Deutsch als Fremdsprache gelernt und wollte nach dem Abitur gerne im Ausland studieren. Ihre Wahl fiel auf die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, die direkt an der deutsch-polnischen Grenze liegt. Die meisten Studenten hier kommen aus Deutschland, aber es gibt auch eine beachtliche Anzahl an polnischen Studierenden. Schon in den ersten Semestern fiel es Dagna auf, dass die polnischen Studenten im Wohnheim und auf dem Campus einen seltsamen deutsch-polnischen Sprachmix verwenden, den sie auch „Viadrinisch“ oder „Poltsch“ nennen. Dabei werden die deutschen Wörter so angepasst, dass sie für die Sprecher einen polnischen Klang bekommen. Dagna beobachtete, dass die Studierenden zunehmend in diesen Sprachgebrauch eintauchen, neue Formen entwickeln und diese dann an andere Studierende weitergeben. Sie war fasziniert von einem so kreativen Umgang mit der Sprache, wollte mehr darüber wissen und beschloss, das deutschpolnische Sprachgemisch in ihrer Dissertation genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit ihrer Forschung möchte Dagna zeigen, dass sich an der deutsch-polnischen Universität ein Raum der Mehrsprachigkeit bildet, in dem sich durch Sprachkontakt neue sprachliche Mischformen herausbilden. Dabei interessieren sie insbesondere die verschiedenen Stufen, in denen diese Sprachmischprozesse ablaufen. Die Studierenden tauchen im Laufe des Studiums immer mehr in diesen Sprachgebrauch ein. Die erste Stufe stellt dabei das sogenannte Code Switching dar: Dabei äußert sich ein Sprecher beispielsweise konsequent auf Deutsch, während der andere Sprecher auf Polnisch antwortet. In anderen Beispielen wechseln die Sprecher zwischen zwei Äußerungen die Sprache. Die nächste Stufe ist das Code Mixing, bei dem innerhalb einer Äußerung die Sprache gewechselt wird: Dagna nennt das Beispiel eines Studenten, der „na Sprechstunde do Rosenberg-a a później do Studienberater-a“, also „zur Sprechstunde zum Rosenberg und später zum Studienberater“ gehen möchte. Schließlich können sich auch eigenständige hybride Sprachvarietäten mit eigenen grammatikalischen und lexikalischen Normen herausbilden, die von Wissenschaftlern als „Fusionlecte“ bezeichnet werden. Dagna steht noch am Anfang ihrer Untersuchung. Im Laufe von zwei Jahren möchte sie mehr Beispiele für die verschiedenen Stufen der Sprachmischung sammeln und analysieren. Sie hofft, dabei auch Gesetzmäßigkeiten in den Formen dieser Sprachmischungen zu entdecken. Dafür macht sie zum einen Aufnahmen von den Gesprächen zwischen Studierenden. Zum anderen spricht sie mit Studierenden in Interviews über das Studium und die Freizeit, aber auch ganz konkret über die Sprachmischungsphänomene. Neben den Formen selbst interessiert sie dabei, ob auch deutsche Studierende diesen Sprachmix verwenden. Außerdem möchte sie wissen, ob und warum sich die verschiedenen Studierenden für oder gegen diese Sprachpraxis aussprechen. „Meine eigenen Eltern beispielsweise sehen die Sprachmischungen als ein Zeichen dafür an, dass ich nicht korrekt polnisch spreche. Ihnen ist es sehr wichtig, dass ich meine Sprache pflege“, erzählt Dagna. Sie kann sich gut vorstellen, dass einige Studierende die Sprachmischungen aus ähnlichen Gründen vermeiden. Dagna selbst hat da eine andere Einstellung: „Ich denke, dass die Sprachmischungen unserer Realität entsprechen und Teil des Alltagslebens in der Grenzregion sind. Es ist ein spielerischer Umgang mit der Sprache, der viel Spaß macht und möglicherweise auch die gemeinsame Identität der Studierenden stärkt.“ 530 Wörter Quelle: Artikel auf der Webseite des GoetheInstituts, http://www.goethe.de/ges/spa/siw/de9656249.htm (gekürzt und leicht geändert) Text 2: Marek ist ein polnischer Student an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Er fühlt sich einer Gruppe zugehörig, die hauptsächlich aus deutschen und polnischen Studenten mit gleichem transnationalem (deutsch-polnischen) Hintergrund besteht. Die Abgrenzung und Identität dieser Gruppe zeigt sich in der genutzten Uni-Sprache „Viadrinisch“. Hierbei handelt es sich um eine Mischung aus der polnischen und deutschen Sprache, die im Universitätsalltag der Jurastudenten an der Europauniversität Viadrina entstanden ist: Dort wird Jura in zwei Sprachen gelehrt; die Grundbegriffe zunächst auf Deutsch und weitere Vertiefungen in der polnischen Sprache. Im Laufe der Zeit hat sich durch diese Durchmischung der Sprachen eine Umgangssprache unter den Studenten entwickelt, in dem hauptsächlich polnisch mit Einschüben der deutschen juristischen Fachwörter gesprochen wird. Marek erzählt: "Man lernt parallel das deutsche und das polnische Rechtssystem, aber man lernt zum Beispiel im Zivilrecht erst das deutsche und dann das polnische, und man kennt die Begriffe, zuerst aus der deutschen Sprache (…) und dann kommt es manchmal vor, dass man, wenn man über ein Problem spricht, solche Begriffe einbaut aus dem juristischen Bereich wie „Anspruch“, wie „Stellvertretung“, rein juristische Begriffe. Und die baut man dann, wenn man schnell spricht, ein. Und daraus entwickelt sich eine Sprache, die geht dann manchmal in andere Bereiche über". Gemeinsam lösen deutsche und polnische Jurastudenten ihre Übungsfälle "Schritt po schrittche", also "Schritt für Schritt". In dieser Gruppe der Studenten fühlt sich Marek aufgrund des geteilten Interesses sehr wohl: „Die Polen, die hier hingehen, interessieren sich schon für Deutschland. Die Deutschen, die an der Uni sind, die, finde ich, suchen auch etwas den Bezug zu Polen und da fühlt man sich sehr wohl“. Da diese Gruppe der Studenten großes Interesse an beiden Kulturen hat, ist die Mischsprache „Viadrinisch“ geradezu ein äußeres Identitätsmerkmal der gefühlten Zugehörigkeit. (291 Wörter) Quelle: Hyna, B. (2007). Grenzgänger der globalen Welt: Marginalität als Chance und Barriere im transnationalen Raum. Unveröffentlichte Dissertation. https://d-nb.info/988878259/34 (Auszug)